Texte & Medien


Vor gut zweihundert Jahre begann ein Streit um die Geschichte der Erde. Zwei Parteien und Namen entstanden: Katastrophisten auf der einen Seite. Große Einschnitte sind es gewesen, die die Gestalt des Planeten und die Entwicklung seiner Lebewesen bestimmt haben. Die Akteure der Umbrüche konnten kosmische sein: die Beziehung des Erdballs zur Sonne, einschlagende Kometen, außerdem Fluten, Vulkane, eine aufplatzende Erde, das Umschlagen zwischen Kalt- und Warmzeiten. Gegenwärtig verknüpfen wir Ereignisse von solcher Energie mit dem Blick nach vorne und mit akut Bedrohlichem; mit dem, was herannaht oder schon da ist: Klimakatastrophe, Epidemien und Massenaussterben, Kippszenarien: Golfstrom, Permafrost, Grönlandschelf.

Heute fügt das Klima Katastrophen und Zäsuren in unser Wissen und unsere Ahnungen ein. Klimamodelle und -prognosen weisen nach vorn. Damit hat sich der Zeitpfeil insofern gedreht, als früheres Denken in Maßstäben der Katastrophe zurückgewiesen und Vergangenheiten aufgerufen hat. Statt an den Horizont unserer Gegenwart zog man die Linien in die Tiefen der Erdgeschichte. Womit durchaus religiöse Sinngebungen und die Unwahrscheinlichkeit der Wunder assoziiert werden konnten. Es fiel den Katastrophisten nicht immer leicht, den Mythos auf Distanz zu halten: Die Sintflut, der Untergang von Atlantis, titanischer Streit, den Kanon der Erzählungen von Göttern und Welterschaffungen.

Auf der anderen Seite des alten akademischen Streits standen die Gradualisten. Es geht hier um die Beobachtung und die Theorie kleiner Schritte. Entscheidend sind die Langsamkeiten im System und nicht die radikalen Transformationen. Die Natur macht keine Sprünge, wir sind Teil eines Geschehens, dass ebenso unmerklich wie kraftvoll ist, die große Drift von Planeten, Kontinenten oder Genen. Wenn sich Funktionen und Gestalten im Erdsystem entwickeln zählt das Allmähliche, Kumulationen über lange Dauer. Naturkatastrophen und Unstetes gibt es, und auch Unwahrscheinlichkeiten treten ein, aber es bleiben Stürme im Wasserglas. Epiphänomene im ruhigen Gang der Differenzierungen.

Dieses graduelle Modell bildete stärkere wissenschaftliche Immunität aus. Es scheint rationaler, es fügt sich ein in ein Wissen um Wahrscheinlichkeit, Berechnung und Statistik, das ein bürgerliches Leben, seine Ordnungen und seinen Realismus prägt. Dennoch ist der alte Streit bis heute nicht beigelegt, er schafft einen munteren Strom von Argumenten und schließlich einen Roman der gesamten Welt, der noch jede Sammlung gesprengt hat. Liest man hinein, so erscheinen kosmische Phantasien und Formbildungen. Spekulationen, die ein Gefühl schwankender Gravitation hinterlassen: Die Sonne, so wird zum Beispiel vermutet, hat eine versteckte Begleiterin, den Zwergstern Nemesis, ungefähr drei Lichtjahre entfernt, dessen Bahn durch die Oortsche Wolke jenen Kometen in unser Sonnensystem geschleudert hat, dem die Dinosaurier zum Opfer fielen.

Meta I und II passieren die in diesen Erzählungen aufgerufenen Bilder. Es gibt darin eine Phantastik der Katastrophe. Kräfte, als wäre es Pranken, haben sich der Form, der Figur bemächtigt, sie falten Glieder, Körper, Material. Wenn eine solche Kraft losbricht, bringt man das zunächst mit schnellen Zeitformaten in Verbindung. Der Einschlag des Kometen: Es gibt Beschleunigung und Affekt, wenn die Ordnung zerbirst. Auch steht das Erhabene mit Schock und Panik in Verbindung. Über Akzeleration und Geste hinaus, sind Meta I und II aber die Schauplätze für ganz verschiedene Kräfte der Zeit. Grundlage dafür mag sein, dass die Arbeiten kein Zentrum haben, sondern eine fast ornamentale Weite, jedenfalls eine Mehrzahl an Arealen oder Gebieten, auf denen die Schwelle zwischen Material und Figur, zwischen Zufälligkeit und Lebendigem verhandelt wird. Hier wiederum fällt ein geduldiger wie kühler Blick aufs Ereignis. Es gibt lokale Wirbel in der figurativen Ordnung, versehrte oder entstehende, aufgedrängte und eigenwillige Formen, Stümpfe oder Gefäße.

Eine Spanne für Kontemplation oder Einfühlung öffnet dieser Rundgang aber nicht. Vielmehr zeigen Meta I und II Geduld in der Erschaffung von Fremdartigkeit. Langsamkeit und dichte Eindrücke, die dennoch nichts vertrauter werden lassen.

Für einen Moment könnte man denken, dass es hier um Traumbilder geht, schließlich können wir derartige Verschmelzungen von Raum, Zeit und Figur, von Geomorphem und Biomorphem allenfalls als Traum erfahren. Mit Leichtigkeit kann der Traum die engen Grenzen der Emphase lösen und die Lage von tektonischen Platten so leicht wie die von Gliedmaßen verschieben. Könnte es also ein Traum sein, der sich mit Lektüren im Roman der Erdgeschichte vermischt hat? Kaum, denn dafür erzeugen die Arbeiten ein höheres Maß an Unruhe, mehr als es Träume aus der Erdgeschichte wahrscheinlich könnten.

Es ist eine Kunst offenen Auges. Der Zeitpfeil hat sich gedreht in Richtung einer radikalen Ökologie, die von den organischen Hüllen zwischen den jüngsten Kräften der Erde handelt und Meta I und II zu Zukunftsfiguren macht. Zu den Figuren unserer Zukunft, die, auch wenn sie doch ein glückliches Geschick bedeuten sollte, weitab von ihren Prognosen eintritt.

 

Warum eigentlich berühren uns die Figuren von Laura Eckert – denn das tun sie unbedingt? Ist es die Konfrontation mit dem Menschen, also letztlich mit uns selbst? Ist es das lebendige Material Holz im Gegensatz zur kühleren, perfekteren, musealeren Bronze? Ist es die Aura des Zeitlosen, die den Arbeiten anhaftet? Oder ist es vielmehr die Art und Weise, wie Figur, Antlitz und Material zusammenspielen und trotz der Präsenz der Figuren ein Gefühl von Vagheit, Unbestimmtheit zurückbleibt, ein Gefühl, dass dem heutigen Menschen nicht fremd ist?

Die Skulptur, so ließe sich behaupten, hat der Malerei etwas voraus: sie ist, während die Malerei nur scheint. Das ist nun zunächst einmal eine recht plakative Aussage. Doch wer würde bestreiten, dass eine Skulptur, alleine aufgrund des Umstandes, dass sie sich mit uns, dem Betrachter, in einem Raum befindet, den sie, ebenso wie dieser mit seinem Volumen ausfüllt, eine ungleich höhere Präsenz besitzt?

Wir befinden uns heute in diesem schönen Raum mit den Skulpturen von Laura Eckert. Werke wie The Somnambulist, Her oder Preaching to the Converted stehen uns lebens- oder gar überlebensgroß gegenüber und bestechen dabei durch ihre Größe und materielle Präsenz. Zusätzlich sind sie farbig gefasst, was ihnen noch mehr Lebendigkeit verleiht. Es sind seltsame Zwitterwesen, die uns die Künstlerin hier offeriert: Doch anders als bei den Kentauren und sonstigen mythischen Mischwesen handelt es sich hier um Mischwesen anderer, zunächst einmal technischer Art. In TheSomnambulist und Preaching to the Converted wird dies besonders sichtbar. Ehemals als Eichenparkett dienende Bretter sind so aneinandergefügt, dass sie Beine, Arme, Körper ergeben. Diesen Entstehungsprozess legt die Künstlerin jederzeit offen. Im Somnambulist wirkt die Figur seltsam amputiert. Der Körper läuft gleichsam in der offenen Struktur der Bretter aus. Trotz des daraus resultierenden Abstraktionsgrades bleibt die akrobatische Haltung erkennbar, eine Haltung, die meines Wissens bislang noch nicht in der Skulptur thematisiert wurde. Der Titel eröffnet, wie meist bei Laura Eckert, keinen Erkenntnisgewinn, zumal er dem Werk erst im Nachgang verliehen wurde. Ganz im Gegenteil unterstreicht er dessen Widersprüchlichkeit. Ein Somnambulist, ein Schlafwandler, könnte sich wohl kaum in solch ungewöhnliche Haltung begeben.

Das Arbeiten mit Schichtholz in der Kombination mit teils vollplastischen Partien macht die Werke von Laura Eckert einzigartig. Zwar ist Holz eines der ältesten Materialien der Bildhauerei, doch ist es gerade seit der Neuzeit durch andere Materialien wie Marmor, Bronze, Stahl oder Beton größtenteils abgelöst worden. Alte Dielenbretter zu recyceln, sie aus einem Gebrauchskontext in einen Kunstkontext zu überführen, ist besonders und eröffnet neue Ausdruckmöglichkeiten.

Laura Eckert geht es um zweierlei: zum einen ganz klassisch um die Statik der Figur, um ihr Standmotiv. Sodann um die Frage, was der Mensch ist, wo er herkommt, wie sich sein Wesen, sein »Sein« bildet und ausdrückt. Der Mensch – und analog eine Figur von Laura Eckert – ist nicht statisch. Er ist im Werden. Er ist geprägt von Faktoren wie Herkunft, Genetik, Erziehung und sozialem Umfeld. Hinzu kommt der eigene (Gestaltungs-) Wille. Preaching to the converted bringt dies als ein sich Aufbäumen zum Ausdruck. Aus dem Unbestimmten, aus der Materie, bildet sich ein Körper, ein Wesen, nimmt Gestalt an und verschwindet auch wieder. Dies ist immer auch ein Spiel mit dem Raum. Kunsthistorisch tangiert Eckert so das Gegensatzpaar von Konstruktion und Dekonstruktion, von Finito und Non-finito.

Auffallend ist, dass die Gesichter jeweils fehlen bzw. nicht ausgeführt sind. Dies verwundert, da sich das Verhältnis von Kopf und Körper in der zweiten hier vertretenen Serie der Köpfe umkehrt. Auch bei ihnen handelt es sich um seltsam entrückte Zwitterwesen, denen, insbesondere durch ihre »Kopfbedeckungen«, mitunter etwa Roboterhaftes anmutet. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei den Sockeln zu. Sie sind nicht allein Träger der Skulpturen, nicht unverzichtbares Präsentationsmöbel. Sie sind auch Körperersatz und unterstreichen in ihrer Immobilität gerade die Beweglichkeit des Geistes.

Laura Eckert belässt die Sockel bewusst roh, unfertig und verleiht ihnen so eine formale wie inhaltliche Offenheit. Im Unterschied zu »traditionellen« Sockeln, die in edleren Materialien oder im schlichten musealen Weiß gehalten sind, versuchen sie so nicht den Wert oder die Bedeutung des Kunstwerks durch eben jene Materialität zu steigern. Sie sind vielmehrt Teil eines offenen Diskurses und tragen zur besonderen Verortung der Skulpturen im Raum bei.

In NN 28 erinnert der Sockel in seiner geschwungenen Form an die menschliche, vor allem an die weibliche Gestalt. Da jedoch Arme und Beine fehlen, unterstreicht dieser somit nur vage Körperersatz nochmals die Bedeutung und Anmutung des Kopfes. Die Kombination aus Kopf und Sockel erinnert so etwa an antike Hermen, die einst an Wegegabelungen zu finden waren.

Die beiden anderen Sockel von NN29 und NN30 sind offener und erinnern entfernt an Türme oder Tore. Der Kontrast zwischen diesen gleichsam architektonisch konnotierten Konstrukten und den Köpfen potenziert nochmals deren Wirkkraft und Lebendigkeit.

Die Köpfe sind keine Porträts, auch wenn die Künstlerin Erinnerungen an Gesehenes, an Bekannte, einfließen lässt. Es ist gerade das Allgemeingültige, das nicht Fassbare, was sie auszeichnet. Mir drängt sich der Vergleich mit der Büste der Nofretete auf. Ungeachtet der formalen Unterschiede sind es Gegensatzpaare wie Diesseitigkeit und Zeitlosigkeit, Fremdheit und doch Vertrautheit, die eine Parallele herstellen.

Der ideale, in seiner Gestalt vollkommene Mensch, war ein Musterbild der Antike und der Renaissance. Er ist es nicht mehr in unserer multikomplexen Zeit. In diese Richtung lassen sich die Werke Laura Eckerts befragen. Und doch findet sich unter der rauen Schale, hinter der fragmentierten Erscheinung, das Moment der Zeitlosigkeit und eine, über alle zufälligen Einflüsse hinausreichende Vollkommenheit und Schönheit. Dass dies keineswegs ein Widerspruch ist, zeichnet die Arbeiten aus. Dies soll abschließend an einem der Köpfe veranschaulicht werden. Dem Kopf NN30 fehlen Hals oder Oberkörper. Er ist allein auf den Kopf und eine ungewöhnliche Haartracht oder Kopfbedeckung, womöglich eine Mischung aus beidem, reduziert. Wer ist dieser Mensch? Er erinnert ein wenig an einen Raumfahrer aus einem Science-Fiction der 1950er Jahre. Womöglich an einen Kosmonauten. Die Verbindung mit dem Turmartigen Sockel ließe zudem die Assoziation mit einem Denkmal zu. Doch ein Denkmal für was? Für eine gesellschaftliche Utopie? Für ein neues Menschenbild? Der Idee eines Denkmals widerspricht es ja geradezu, uneindeutig zu sein. Ein Denkmal bedarf immer einer klaren, unzweideutigen Aussage. Deswegen gibt es auch heute kaum mehr Denkmale und ist doch eines geplant, wird nicht selten ein erbitterter Diskurs darüber geführt. Die Erkenntnis, dass es die eine Wahrheit, die eine richtige Interpretation der Ereignisse nicht geben kann, ist dem 20. Jahrhundert mit seiner wechselhaften Geschichte geschuldet. Auch Laura Eckert konfrontiert uns mit diesem Widerspruch. Sie lässt mit ungemeiner Präsenz und Anmutung einen Kopf entstehen und überlässt es uns, diesen einzuordnen und mit einer Geschichte zu beleben. Wo ich einen Kosmonauten sehen möchte, wird jeder Betrachter eine andere Assoziation haben, je nach seiner eigenen Geschichte, seinen Erfahrungen und seinem Weltbild.

Letzen Endes verweigert uns die Künstlerin eine Identifikation. Den Köpfen fehlen die sie tragenden Körper, den Körpern die sie benennenden Gesichter. Wäre etwa bei Her das Gesicht ausgeführt, so wäre diese Frau trotz ihrer Nacktheit zeitlich und womöglich örtlich einordbar. Doch eben dies – einordbar – wollen die Arbeiten von Laura Eckert gerade nicht sein. Sie bleiben trotz ihrer starken Ausstrahlung, ihrer Präsenz, im Vagen, im Unbestimmten. Und das sollte jede Kunst schließlich immer sein.

 

Dr. Frank Schmidt

 

Laura Eckert – das sind Skulpturen aus Kraft und Empathie. Die Arbeiten aus Holz, menschliche Figuren, Torsi, Büsten, Köpfe, erzählen – sehr direkt – vom Zustand des Leiblichen. Und sie setzen dort an, wo der Zusammenhang von Körper, Geist und Seele als komplexe Schöpfung und angestauntes Wunderwerk der Natur allenfalls noch in Geburt und Tod bewusst ist. Im Leben scheint der Körper ein fremdgesteuertes Eigenleben zu führen.Eckert verbindet in ihrem skulpturalen Werk philosophische und naturwissenschaftliche Gedanken zu einem bildhaften Ausdruck für den Wandel in der Auffassung von Körperlichkeit.Die Wahrnehmung des menschlichen Leibes zerfällt in biologische, soziologische, juristische und ästhetische Kategorien und unterliegt zunehmend dem zwanghaften Anspruch der Optimierung. Dabei entstehen Unwuchten und Gründe, das Abbild des Menschen neu zu denken. Hier kommt Holz ins Spiel, so wie Eckert es auffasst. Hochwertige Harthölzer aus Holzfußböden, profane Dachlatten, Balken, Stämme und Reststücke werden im besten Sinn recycelt und nehmen ihr Vorleben mit ins Werk.Die natürlichen Holzfehler wie starke Astbildung, unregelmäßige Verfärbungen, Risse und Auswüchse und die im Arbeitsprozess beigefügten Einschnitte, Schürfungen, Abtrennungen und Ergänzungen verbinden sich zu einer Formsprache, die direkt oder metaphorisch von natürlichen und mutwilligen Interventionen berichtet. Die große stehende Skulptur »Nachtmahr«, 190 cm, androgyn, kräftig, nicht ohne Sinnlichkeit und mit einem Gesicht ohne Augen, steht aufrecht in natürlicher Ruhepose mit Standbein und Spielbein auf einem Bretter-Sockel. Der rechte Arm fehlt, der linke ist als ein Bündel aus Leisten bis auf den Boden verlängert. Mit Holzdübeln verankert wird diese Extremität zum integrierten Körperteil, das die Statik der Skulptur unterstützt. Gearbeitet aus grob gefügten Holzstücken ist die Figur auf der Oberfläche mit Tusche lasiert und komplett in Schwarz zusammengefasst. So behauptet sie, homogener Körper zu sein. Wie eine solche Figur funktionieren kann, liegt in der Betrachtung: Beschädigung der Schöpfung oder Optimierung der Möglichkeiten. Wie muss man heute sein? Was muss man können? Wie aussehen? Verheißung und Verhängnis der Manipulierung von Körperlichkeit sind hier zwischen Krücke und Futurismus aufgespalten.Die Köpfe der Serie »N.N.« stehen in der Tradition der Porträtbüste. Sie sind aus Schichtholz und diversen Naturholzstücken ergänzt und im Block bearbeitet. Das Gesicht als Formel, als Vorsilbe der Persönlichkeit verspricht den Rückschluss von der formalen Äußerlichkeit auf das Wesen. Die Lesbarkeit der mehr oder weniger fiktiven, in Form gefassten Behauptungen zum Wesen einer Figur ist als Kulturtechnik des Gesichter-Lesens vertraut. Laura Eckert porträtiert jedoch nicht. Sie verschiebt den Blick Richtung Gegenwart und hält dagegen, dass das Wesen hinter der äußeren Erscheinung immer weniger erkennbar ist, je mehr diese sich verselbständigt.Risse mitten durch das Gesicht oder quer über den Hals, grobe Fehlstellen knapp unter dem Auge, das Aufbäumen des Oberkörpers und die Fortsetzung des Leibes als pures Material porträtieren zuerst den Zustand der körperlichen Seite des Selbst. Eckert schafft damit dramatische Spannungen zwischen dem reinen Stoff und der Gestalt, die daraus erwachsen ist. Mit dieser Konfrontation sind ihre Werke sehr direkt, fast rücksichtslos zu nennen. Die stolzen, sinnlichen, klugen und sensiblen Gesichter tragen ihre Störungen unbeirrt. Noch behaupten sie sich über die ihnen angetragene Form. Eckert lässt in allen Arbeiten aus Holz die Entstehung detailliert nachvollziehen. Schichtholz und die verleimten, vernagelten Elemente erinnern in ihrer Struktur an Bausteinsysteme oder Steckspiele, teilweise auch an die mutmaßliche Veranschaulichung des dechiffrierten menschlichen Bauplanes: als erweiterbares System. Die Fortsetzung des menschlichen Körpers scheint unbegrenzt denkbar. Und sie balanciert zwischen dem Ausgeliefertsein an die Fortschritts-Euphorie und im Verweigerungsfall der Ausgrenzung.Die Leibhaftigkeit als fragiler Teil des Bewusstseins verlangt nach immer neuen Impulsen für formgebende Verfahren. Laura Eckert hat dafür eine Sprache gefunden, die Symptome auf inhaltlich und ästhetisch hohem Niveau erzählt.

 

Frank Schmidt

Laura Eckert. Schichtwechsel

Auf Blickhöhe der Tischplatte erkennt man sie am besten: die Dielen des Eichenparketts. Terrassenartig steigen sie in unregelmäßiger Formation Schicht um Schicht zu einem Gebirge aus dunklem Holz an. Erst in der Draufsicht wird deutlich, dass sich in Signs of Sleep eine schlafende weibliche Figur aus der Grundplatte herausbildet. Sind Kopf, Oberkörper und linkes Bein detaillierter herausgearbeitet, verliert sich das angewinkelte rechte Bein in groben Holzelementen.Dieser Wechsel zwischen plastischen Körperteilen und deren Dekonstruktion ist charakteristisch für die Arbeitsweise von Laura Eckert. Die Art, wie in Signs of Sleep eine Figur aus dem Grund herauswächst und sich doch gleichzeitig im Raum verliert, fasziniert und befremdet im selben Augenblick. Vermittelten Skulpturen der Antike oder Renaissance mit dem vollkommenen Körper auch ein ideales Menschenbild, sind die Figuren der jungen Leipziger Bildhauerin zerklüftet und unvollständig, ohne allerdings verletzt oder gar amputiert zu wirken. Vielmehr vermitteln die Torsi ein sich formal wie inhaltlich äußerndes transitorisches Moment. Hier kommt dem Material eine große Bedeutung zu. Körper und das Rohmaterial Holz stehen in Widerstreit zueinander und ergänzen sich zugleich. Eindrucksvoll vermittelt dies M.I.A. Von ihrer Anlage her erinnert die Skulptur an einen Kentaur, bei dem nun allerdings der menschliche Unterkörper in ein abstraktes Lattenkonstrukt übergeht. Die bestechende, wie aus einem Guss erscheinende Gesamtform verhindert, dass die Figur trotz dieser Transformation disharmonisch oder unnatürlich wirkt. Unter der ›Verkleidung‹ könnte eine sich die Haare waschende Frau in der Art von Edgar Degas, aber auch ein Ringer oder ein American-Football-Spieler verborgen sein. Die offene Struktur ermöglicht eine Vielzahl an Deutungen. Darüber hinaus hat der vordere Teil auch eine ganz praktische, weil stützende Funktion. Die spitz zulaufenden und dadurch gefährlich wirkenden Dielen mögen zum Titel angeregt haben: Der aus dem militärischen Jargon stammende Begriff MIA – missing in action [= vermisst im Kampf] – soll aber keinesfalls beschreibend oder anekdotisch verstanden werden. Nur wenige Eckert-Arbeiten tragen überhaupt einen Titel, der ihnen zudem erst nach Vollendung assoziativ und dabei meist von Dritten gegeben wurde. Lassen sich von der Seite betrachtet noch Arme und die Idee eines Kopfes ausmachen, löst sich M.I.A. in der Frontalsicht in eine Kaskade aus rohen, unbearbeiteten Planken auf. Der Künstlerin ist diese Allansichtigkeit ihrer Skulpturen wichtig, deren Facetten sich erst im Umschreiten erschließen.

Auch die beiden komplementären Wandarbeiten Geist und Körper sowie Körper und Geist vermitteln die ungewöhnliche Herangehensweise der Künstlerin. Der angedeutete Körper der weiblichen Büste ist auf ein kubistisches Stillleben aus gefundenen Holzelementen reduziert, das gleichzeitig als eine Art Sockel fungiert. Der Kontrast zur detaillierter gearbeiteten und dazu weiß gefassten Büste wird durch diese im Vergleich grob wirkenden Elemente und die ebenfalls grob abstrahierte Haartracht noch unterstrichen. Diese skizzenhafte Rahmung intensiviert die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit des Kopfes.

In der zweiten Wandarbeit findet eine Umkehrung statt. Der aus nahezu unbearbeitet belassenen Elementen grob geschichtete Torso lastet schwer auf den vergleichsweise frei herabhängenden Beinen. Erneut ist ein gewichtiger Teil des Körpers in eine Art kubistisches oder konstruktivistisches Stillleben aufgefächert, das zahlreiche Deutungen eröffnet. Bewusst oder unbewusst fließen in Eckerts Arbeiten bisweilen Zitate aus der Kunstgeschichte ein. So könnten die Beine von einer Christusfigur am Kreuz stammen. Die Künstlerin lässt derartige Assoziationen zu, belässt sie aber im Unbestimmten. Der Rückgriff auf historische oder motivisch konnotierte Formen und deren gleichzeitige Aufhebung und Dekonstruktion ermöglichen neue Denk- und Deutungsanstöße, die, wenn auch nicht zwangsläufig, durch den Titel mit befördert werden können. Aus diesem Prozess, der mit einer größtmöglichen Reduzierung individueller Züge einhergeht, resultiert eine Verallgemeinerung der Aussage.

Neben den ganzfigurigen Arbeiten nimmt die Gruppe der Köpfe den größten Raum im Werk von Laura Eckert ein. Erneut findet eine feinere Bearbeitung und damit Akzentuierung von dem grob belassenen Oberkörper hin zu Kopf und Gesicht statt. Dabei fällt auf, dass materialbedingte Risse und Unebenheiten bewusst stehen gelassen und, wenn überhaupt, leicht abgemildert werden. Selbst durch die farbige Fassung wird der Holzcharakter aller ihrer Arbeiten nicht negiert. Struktur, Materialität und Anmutung des Werkmaterials, seien es die verschiedenen Hölzer oder der von der Künstlerin ebenfalls bearbeitete Marmor, sind konstruktiver Teil der Arbeiten und bleiben jederzeit erfahrbar. Aus der Verschiebung von einem konventionellen Abbild zur konstruktiven Materialansichtigkeit erwächst – nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Brüchigkeit – die Modernität der Werke.

Wie Porträtbüsten des Mittelalters oder der Renaissance sind auch Eckerts Köpfe zumeist frontal und axial ausgerichtet. Diese formale Strenge sowie der zumeist sinnende bis traurige Blick ihrer Protagonisten erzeugen einen ruhigen, kontemplativen Ausdruck. Der Vergleich mit einer Reliquienbüste aus der Sammlung von Ludwig Roselius mag die lange Tradition dieses Typus veranschaulichen. Das Gegenüber mit den Köpfen von Laura Eckert verdeutlicht zudem, dass ihr Verzicht auf Arme und Hände ein erzählerisches Moment von vorneherein unterbindet. So stellen Eckerts Arbeiten auch keine Porträts im herkömmlichen Sinne dar. Sie verwendet keine Modelle oder Skizzen. »Die Köpfe entstehen einfach oder sie ergeben sich aus der Form des Holzstücks. Manchmal beruhen sie auf dem Gesicht eines Menschen, den ich im Vorbeigehen wahrgenommen habe«, so Eckert. Im dynamischen Spannungsfeld zwischen Abbild und freier künstlerischer Gestaltung, zwischen Gesehenem, Erinnertem und Erfundenem werden Brüche sichtbar. Ganz bewusst setzt die Künstlerin auf das Moment der Irritation und Unschärfe, das aus der Verfremdung eines klassischen Figuren- oder Porträtschemas erwächst.

Das solchermaßen evozierte Idealbild des Menschen wird – bedingt durch den Arbeitsprozess und die verwendeten Materialien – wieder dekonstruiert. Mit dieser formalen Verfremdung einher geht zugleich eine inhaltliche Dekonstruktion des Menschenbildes. In der überlebensgroßen Skulptur Der Mann ohne Eigenschaften von 2011 nimmt die Künstlerin auch im Titel auf diesen Aspekt ihrer Arbeit Bezug. In seiner archaischen Auffassung gemahnt die Figur an eine antike Gottheit, an eine sphingenähnliche Wächterfigur, welche die Zeiten trotz einiger Verletzungen überdauert hat. Die einst vollkommene Skulptur hätte – nach dieser Lesart – durch äußere Einflüsse an Substanz verloren. Unter dem Blickwinkel des Entstehungsprozesses, der Eckerts Figuren inhärent ist, ändert sich auch die Wahrnehmung und der inhaltliche Zugriff. Der Unterschied zu antiken Werken wird nun offensichtlich, waren diese doch nie als Torsi konzipiert. Das Non-finito als künstlerisches Konzept ist im Großen und Ganzen eine Errungenschaft der Moderne, wie sie im 19. Jahrhundert durch die Impressionisten und, im Bereich der Bildhauerei, durch Auguste Rodin etabliert wurde: Es ermöglichte eine inhaltliche Konzentration bei Verzicht des vom Künstler als überflüssig Betrachtetem. Im Falle von Laura Eckert werden noch andere Aspekte relevant: Sie vermittelt die Erkenntnis der Unvollkommenheit ihrer Zeit oder besser das Wissen um die Unfähigkeit, das eigene Ich oder das des Gegenübers entschlüsseln zu können. Ihre Protagonisten scheinen gefangen in ihrem Körper, behaftet mit den Wunden der Erinnerung und unfähig, aus diesem Korsett auszubrechen.

Die Skulptur unserer Zeit spiegelt diese Probleme auf mannigfache Weise. In der Verfremdung des klassischen Menschenbildes sehen heutige Künstler die einzige Möglichkeit, sich überhaupt noch in diesem Medium mit dem Menschen zu befassen. Wenn Laura Eckert ihre Skulpturen in Schichten aufbaut, erinnert dies an das additive Verfahren, wie wir es heute bei 3-D-Druckern oder – in der Kunst – von Skulpturen eines Tony Cragg kennen. Für die Künstlerin bietet dies die Möglichkeit, aufbauend auf einem konstruktiven Grundprinzip, sich immer wieder neu mit der Tradition der Skulptur und der Idee des Menschen auseinanderzusetzen. Mit Holzdielen als einem bereits verwerteten und industriell konnotierten Material baut sie etwa eine Figur in Signs of Sleep auf. Der Zufall und der intuitive Einfall spielen bei diesem offenen Verfahren eine entscheidende Rolle.
Im ambivalenten Spannungsfeld von Materialgebundenheit und figurativer Offenheit bringt Laura Eckert die Ungewissheit ihrer Generation zum Ausdruck.
Die in einem technischen Sinne »viel-Schichtigen« Werke bergen unterschiedliche Sichtweisen: Sie animieren den Betrachter zur aktiven Partizipation und, analog zur Viel-Dimensionalität unserer Zeit, zur Findung einer eigenen Perspektive.

Es war ein Schock, als der Stein, das Sinnbild der in sich verschlossenen, ewigen Ruhe, der Felsblock, beständig und reglos, am Ende des 19. Jahrhunderts durch die Erkenntnisse der Atomphysik als kinetische Teilchenenergie definiert wurde. Der Stein besteht aus Energie und Bewegung. Das war der Verlust einer Gewissheit.

 

Um vieles langsamer und um vieles folgenreicher stellten sich neue Erkenntnisse über den Menschen ein. Geist, Seele und Körper sind weder allein Gottes Schöpfung noch willentliches Selbsterzeugnis noch reines Produkt der Umstände. Unabsehbares kam und kommt ins Licht des Wissens und befeuert die Diskurse, was das nun sei: ein Mensch.

Der platonische Gedanke der Trennung von Geistigem und Leiblichem oder – dem entgegen – die aristotelische Einheit und Abhängigkeit von Körper und Seele sind als die Außengrenzen der Vorstellung weit überholt.

Moderne Selbstkonzepte und Wahrnehmungstheorien diskutieren ein Menschenbild, dessen Wesen als komplexes, von der Natur als geschlossenes Ganzes entworfenes Geschöpf kaum mehr interessiert. Der genetische Code als naturgesetzliche Vorgabe wird zum Setzkasten für neue Formulierungen eines immer besseren Menschen. Stimulierende Substanzen und verschönernde Implantate gehören zum Maßnahmenkatalog persönlicher Attraktivität und das verheißungs- und verhängnisvolle Neuro-Enhancement verschafft seinen Mitteln ein gutes Fortschrittsgewissen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar, der Körper nicht.

 

Gegenwärtig scheint sich die Wandlung der Begriffe vom menschlichen Körper in verschiedenste Kontexte zu entladen. Die multiple Entfaltung von Vorstellungen zur Körperlichkeit – zu ihrem biologischen Ausgangspunkt und ihrem juristischen Ende, ihrer Souveränität, Leistungsfähigkeit und ihrem äußerem Anschein – sind visionär.

Laura Eckerts künstlerisches Werk steht diesen kulturgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Diskursen gegenüber – und als These mittendrin.

 

Die Skulpturen aus Holz und Stein, meist überlebensgroß, zeugen zunächst vom tatkräftigen und kraftaufwändigen Handwerk. Und: Es sind alles menschliche Figuren. Die wuchtigen Ganzkörper, die Torsi, Köpfe, Büsten sind – teils klassisch erhaben auf Sockeln präsentiert, teils wie zur Obduktion oder Zwischenlagerung auf Paletten oder Seziertischen abgelegt – bereits an sich Metapher für Schöpfung.

 

Ganz gleich ob in stolzer Haltung ausformuliert oder fragmentarisch noch im Entstehen oder schon in Auflösung begriffen, ob nackt und unvollständig oder bis zur Maskierung ausgestattet und umrüstet, Laura Eckert schafft ein Arsenal von Gestalten, das die Modalitäten der Leibhaftigkeit weit ausbreitet. Diese basale Behauptung der Gestaltbarkeit des Körpers greift nach Eckerts wichtigster These: seiner Verfügbarkeit.

 

Das scheint für die Skulptur zunächst selbstverständlich, denn sie ist von allen Seiten sichtbar und tastbar, ist spürbar an Oberflächenstruktur und Gewicht. Der Bauplan ist erkennbar, nachvollziehbar die Herstellung. Das macht Eckert leichthändig bewusst. Doch dann steigert sie die Verfügbarkeit bis zum Ausgeliefertsein und lässt den Betrachter suggestiv oder sogar direkt eingreifen, vervollkommnen oder dekonstruieren. Einige Figuren sind beweglich arrangiert in ihren Gliedmaßen, die Körperpartien sind gegeneinander verschiebbar, Körperform und Pose sind wandelbar („Die Nacht“, „Olimpia“). Mit absichtsvollen oder unwillkürlich launigen Eingriffen kann jeder Betrachter Mittäter werden, kann die Figur umorganisieren und das sichtbare Ergebnis bewerten oder weiter korrigieren. Das ist für Marmorskulpturen mindestens ein Bruch mit der Konvention.

 

In dieser gesteigerten Verfügbarkeit liegt allegorisches Vermögen. Die Figuren sind, implizit, Übersetzer ihrer expressiven Körperformen in die Kontexte der Leiblichkeit.

Der Körper ist disponibel und parat und er ist lesbar als veränderbares Modulsystem von Potenzialen. Das Leugnen der leiblichen Gegebenheiten bis zum Auflösen der Grenzen zwischen Körper und Umwelt mittels angetragener Fremdbestandteile kann im Ergebnis die Erweiterung des Bewusstseins oder dessen Reduktion auf fremden Erfüllungsgeheiß bedeuten. Das bleibt offen. Das Ideal der Ganzheit ist obsolet – so oder so.

Authentisch ist der Körper jedoch als Ausdruck der Idee einer Haltung. Wenn man so will: in seiner kommunikativen Urfunktion. Sinnbildlich kann Eckert solche Haltungsgesten durchdeklinieren und jeder Kasus wird zum Argument. Das Gehen als Entschluss, das Abwenden des Blickes als Rückzug, die Suche nach Stabilität in einer Beugung und Bodenberührung bis zum Einswerden mit der Ursprungsmaterie in „M.I.A.“ Direkt in Bewegung übersetzt ist „Landung“ das kraftvolle, vielleicht letzte Aufbäumen des Torsos, ist „Lauf“ das Freisetzen von Energie im Voranschreiten, dessen Schwung in auslaufenden Bewegungslinien erfasst ist.

Eckert nennt sie „metaphorische Körper, die in Form und Ausprägung augenscheinlich machen, was zunächst nicht augenscheinlich ist“. Der Körper ist als ganzheitliches Abbild eines Selbst kaum möglich, aber im Ausdruck seines Zustandes präsent.

 

Der Untersberger Marmor gilt als besonders fest und dauerhaft. Als Sediment mit Einschlüssen fossiler Schalentiere und grober Kalkgerölle führt der künstlerische Werkstoff – ähnlich wie Holz – ein Sekundärleben. In der Kunst impliziert Marmor eine nahezu unvergängliche Existenz. Marmorskulpturen, nicht selten felsenfeste Behauptungen ihrer Formgebung, haben traditionell die Aura des würdevoll Erhabenen.

Die Trias aus „Die Nacht“ (2011), „Der Morgen“ (2012) und „Der Tag“ (2013), gelesen in dieser Entstehungsreihe, spielt ambivalent mit dieser Erwartung.

„Die Nacht“, 2,20 Meter hoch, in sechs Teilen drehbar arrangiert, eine aufrecht stehende, feminin konnotierte Figur mit königlich gebieterischem Antlitz, überblickt souverän und bestimmt ihre Welt nach allen Richtungen. Der Nacht folgend erhebt sich „Der Morgen“ aus liegender Position. Am wenigsten konkret ausformuliert und nur aus groben Blöcken assoziiert, erscheint er vorläufig. Wie in einem unvollendeten, auf Europalette zwischengelagerten Versuch können die arrangierten Körperteile gleichermaßen weitergedacht werden als Bewegungsanordnung einer mechanischen Gliederpuppe oder vollendet als anmutiges Erwachen einer Venus.

Im Licht der Erkenntnis verharrt schließlich „Der Tag“, sitzend 2,20 Meter hoch, in gekrümmter Haltung seltsam unsicher und in sich zurückgenommen. Haupt und Körper scheinen voneinander gelöst, der Kopf sammelt sich zu festem Blick, der Körper hat sich zum verkeilten Unterbau entfremdet. Anatomisch indiskret und ernüchternd schwach, wie eine Konstruktion auf Probe, hält die Figur den Ausbruch oder Zusammenbruch nur mühsam zurück.

 

Der Ausdruck von körperlicher Bewegung für die innere Verfassung erinnert in der Skizzenhaftigkeit der Trias an die unvollendeten Sklaven von Michelangelo, etwa die Entwürfe „Sklave als Atlant“ oder „Erwachender Sklave“ 1519. Die Marmorskulptur der Renaissance erhebt sich über das Material und behauptet ihr Dasein als Figur, als Legende, Mythos oder Schicksal. Bei Eckert ist(!) die Figur der gebrochene und bearbeitete Stein. Und: Eckert erzählt keine Geschichten. Ihre Figuren haben keine Schicksale als Individuen. In ihnen angesammelt ist der status quo des corporeal, wie er am Anfang des 21. Jahrhunderts zu konstatieren wäre. Und wie nebenbei ist zu sehen, wie sich der Körper zu einem Instrument zu wandeln beginnt, auf dem das Bewusstsein die Partitur der Optimierungszwänge spielt.

 

Anders die Skulpturen aus Holz. Das vertraute Alltagsmaterial, Bauholz aus alten Häusern, Dielen, Balken, Leisten, wird aus einer abgetanen in eine neue Bestimmung überführt. Was funktional als Recycling gilt, ist künstlerisch eine inhaltlich Wert-volle Zugabe. Die verwendeten Holzteile beglaubigen das Vorläufige von Existenzformen.

Eckert spielt mit den natürlichen Astlöchern der Bretter wie mit den Bohrlöchern der Balken gleichermaßen die Übergänge und die wechselnden Zustände des Materials aus. Ihr Holz ist kaum Bekenntnis zum gewachsenen Rohstoff. Es ist geeignet, in der Skulptur eine Momentaufnahme im Dasein des Materials zwischen davor und danach zu behaupten und in dieser Behauptung wiederum die menschliche Körperlichkeit zu spiegeln.

Betont wird dieser Gedanke durch die Verarbeitung der Hölzer zu verleimtem Schichtholz, aus dem sie die Figuren herausarbeitet. Die horizontal geschichteten, verleimten Bretter bilden eine strukturelle Matrix ab. Die Optik des Schichtholzes kann Höhenlinien auf topographischen Landkarten nachahmen oder Rasterpunkte technisch abstrahierter Reproduktionen wie computertomographischer oder digitalisiert verfremdeter Abbildungen. In einigen Figuren erinnert sie schlicht an Bausteinsysteme oder Steckspiele, in anderen an die mutmaßliche Veranschaulichung des dechiffrierten menschlichen Bauplanes.

Die formale Darstellung erzeugt eine Verflechtung von technischer Systematik und organischer Grundlage. Von hier ist die virtuose Neuschöpfung der Kreatur keine abenteuerliche wissenschaftliche Anmaßung mehr, sondern schlicht folgerichtig inbegriffen.

 

In einigen Arbeiten ist das Zwangsläufige dieses Prozesses komprimiert. In „Signs of Sleep“ beginnen sich die Konturen des liegenden Körpers aufzulösen. Sie laufen abwärts in die Grundfläche zum reinen Material aus: vom Schlaf zum Tod zum finalen Zerfall des Leiblichen. Die Parallelität zu einer schrittweise erodierenden Landschaft, die ihr Material neu anlegt, ist da, und die Unaufhaltsamkeit ist einzusehen.

In „M.I.A“ ist dieser Prozess zu einer gestischen Formel zusammengefasst. Das kompakte Sinnbild schlägt den ganz großen Bogen vom Aufrichten des Menschen aus dem Staub bis zum Wiedereingehen in den natürlichen Urgrund der Erde.

Was hier metaphorisch transformiert ist, wird in „Schattenspiel“ ganz im Material ausgeführt: die Fortsetzung des menschlichen Körpers ist unbegrenzt denkbar.

 

Die Köpfe der Serie „N.N.“ mit feiner ausformulierten, teils aparten Gesichtszügen, die an Porträtbüsten erinnern, könnten sich über ihren Blick als Charaktere offenbaren. Aber (ganz gleich ob im empfindlich schutzlosen, nackten Schädel oder im dramatisch umpanzerten Haupt) als authentische Figuren bleiben sie unerkannt. Dass etwas hinter der schönen Oberfläche arbeitet, davon zeugen Risse und Wucherungen, derbe Schnitte und Schürfungen, Abbrüche und grobe Ergänzungen des Holzes. Die Reflexionen des Betrachters dringen nicht ein und müssen sich an der Oberfläche, der Maskierung, abarbeiten. Eckert verweigert den leichtfertigen Rückschluss von Anblick auf Erkennen. Die Verführung zur Empathie scheitert an den stillschweigenden Angesichtern: Der Körper wird die Seele nicht erzählen.

 

Die transhumanistische Verpflichtung zum Fortschritt zersetzt den Dreiklang aus Körper, Geist und Seele. Die Ungeheuerlichkeit der Möglichkeiten wird darin ebenso evident wie die Verzerrung eines Bewusst-Seins, dessen gesteigerte Reichweite sich in den Grauzonen indefiniter Leiblichkeit verfängt.

Nichts ist überhöht, karikiert oder dekonstruiert. Eckerts Werke sind konzentriert und vertiefend auf ihr metaphorisches Vermögen ausgerichtet und kommen auf dem Weg über Material und Geste zum Wesen als Kunst-Ding und zur Geltung.

 

Heinrich von Kleist hat schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seinem Aufsatz „Über das Marionettentheater“ nach der Möglichkeit des Rückwegs zur vollkommenen Natürlichkeit des Menschen gefragt. Es blieben ihm zwei Alternativen zu konstatieren: Entweder das völlige Unbewusstsein oder das vollständige Bewusstsein in Aufhebung der Folgen des Sündenfalls. Nur wenn die Erkenntnis das Unendliche erreicht hat, tritt wieder Natur ein. Schuldfrei sind nur die willenlose, gelenkte Marionette – oder Gott. Für das Labyrinth dazwischen hat Laura Eckert in ihrem Werk einen Ausdruck gefunden und mögliche äußere Äquivalente vorgeschlagen.

 

Juni 2015

Dr. Tina Simon

 

Laura Eckerts Figuren stellen, wie sie sagt, Zustände des Menschen dar, und zwar sei ergänzt, sowohl körperliche als auch seelische.

Der Mensch als biologisches und gesellschaftliches Wesen ist multikausal bestimmt. Auf der einen Seite zum Beispiel durch die Genetik und die Umwelt (hier seien Natur, Ernährung und Klima genannt), andererseits aber auch durch Erziehung, Religion und Bildung. Hier spielen Regeln und Normen eine wichtige Rolle, durch die der Mensch in einer jeweiligen Gesellschaft geprägt ist. Vor allem in einer modernen Massenzivilisation scheint das Individuum, der Einzelne, wie in einem Ameisenbau anonymisiert zu werden. Mit der Frage nach dem eigentlichen Selbst und der Suche nach Identität thematisiert Eckert zugleich das Verhältnis zwischen dem individuellen Sein und den von außen auf den Menschen einwirkenden Fremdzwängen, die zu Selbstzwängen werden können. Es geht ihr darum, diese Beziehungen bewusst zu machen, und um die Abgrenzung der von außen einwirkenden Einflüsse, denen der Mensch alltäglich ausgesetzt ist.

Mit der weiblichen Figur „Die Nacht“, die aus sechs Steinsegmenten besteht, die sich vertikal drehen lassen, überhöht die Künstlerin die Situation, indem sie den Betrachter mit der Option konfrontiert, den Zustand der Figur verändern zu können. Die Figur ist Fremdeinwirkungen ausgeliefert, kann sich als passives Objekt nicht gegen äußere Handlungen und Einflüsse wehren. Der Betrachter wird zum Medium, ist in den Form- und Raumprozess eingebunden. Er wird auf sich selbst verwiesen und steht vor der Frage, inwieweit er tatsächlich in seinem Umfeld ein passives oder aktives Wesen ist. Gleichzeitig bietet die Oberflächenstruktur der Figur die genannte Diskrepanz, mit der sich die Künstlerin auseinandersetzt. Die natürlichen Bruchstellen und -kanten stehen den behauenen gegenüber; dem Urwiderstand von Stein schenkt die Künstlerin Raum zum Atmen, er wird nicht gebrochen.

Ebenso thematisiert Laura Eckert mit der aus Schichtholz bestehenden, fast schon martialisch wirkenden männlichen Figur die moderne Identitätskrise bzw. den vorherrschenden Identitätsverlust. Das verrät allein schon der Titel der Figur „Der Mann ohne Eigenschaften“, den sie kühn, beinahe riskant Musils facettenreichem Epochenroman entlehnt, in dem es, grob gesagt, um den Widerstand gegen jegliche Kollektivierung geht. Der Protagonist hat den Wunsch, nicht gegen seinen Willen in eine gesellschaftliche Rolle gezwängt zu werden, und entwickelt deshalb eine Affinität zur Eigenschaftslosigkeit, um anders zu sein. "Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, daß er seine Daseinsberechtigung hat, dann muß es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wird geschehen, muß geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müßte geschehn; und wenn man ihm von irgend etwas erklärt, daß es so sei, wie es sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebensogut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist."
(Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Neuausgabe 1978. Rowohlt, Band I, S.16)

Diesen hypothetischen Lebensentwurf macht die Künstlerin sich speziell für diese Figur, aber auch für ihre anderen Figuren zu eigen; er erlaubt ihr, den Fokus auf das Fakultative als Gestaltungsmoment zu setzen. Gerade durch den hohen Abstraktionsgrad, der die Vielschichtigkeit des Menschen widerspiegelt, eröffnen die Arbeiten den Diskurs; sie provozieren den Betrachter zur Überprüfung der eigenen Lebensposition, sind Projektionsfläche.

So wie die Figur „Die Nacht“ aus mehreren Steinblöcken zusammengesetzt ist, bildet sich die Figur „Der Mann ohne Eigenschaften“ aus einzelnen Holzblöcken, die aus diversen Brettern zusammengeleimt wurden. Dort wo die Schichtung nicht ausmodelliert, nicht beigeschliffen ist, sondern in den Raum hineinragt, scheint der Entwicklungsprozess bereits eine andere Dimension angenommen zu haben.

 

 

 

Atelierbesuch beim "Sommergast 2016": Bildhauerin Laura Eckert

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Film zur Skulptur „Die Nacht“
Regie/ Kamera/ Schnitt: Ginan Seidl (Rosenpictures)
Performance: Anja Spitzer

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